Mittwoch, 20. Mai 2015
Endlich wieder Streik!
Die Eisenbahner (sorry: die Lokführer) streiken.
Die Kindererzieher/innen tun es auch.
Und die Post nebst angesiedelte Logistik streiken auch.

Es sind Randgruppen. Aber sie haben Auswirkung.
Die Ausfälle der Bahn führen zu Verkehrschaos, ich selbst fahre z.B. etwa 2,5 Stunden zur Arbeit, jetzt sind es mindestens 3.
Andere Pendler trifft es noch härter.
In der Logistik unserer Firma sind Versendungsausfälle bei Versand über die DHL ein ernstes Thema, da die uns angeschlossenen Filialen die Warenversorgung nicht erhalten.
Und im Lager selbst können Mitarbeiterinnen nicht kommen, weil durch den KITA-Streik niemand auf ihre Kinder aufpaßt.
Die Streiks sind erst kleine Funken - aber sie zeigen Wirkung.

Und die ganze Republik flucht - und schimpft auf den Egoismus der Streikenden.
Ich verfolge das selbst in Diskussionen in der eigenen Familie und Bekanntenkreis.
"Was denken die sich, wenn ich einfach streiken würde, dann ..."
Ja, was dann?

In der Zeit nach dem Krieg (letztes Jahrhundert) haben mutige Arbeitnehmer und Gewerkschafter sich genau diese Frage gestellt:
Was wird denn dann, wenn wir nicht daran gehen, Änderungen einzufordern?
Wo käme man denn da hin, wenn niemand hinginge und nachsähe, wohin wir kämen, wenn wir gingen?
Oder so ähnlich.
Und als Ergebnis der Arbeitskämpfe im 20. Jhd. haben wir in der Arbeitslandschaft (noch) einige Errungenschaften, wie Kündigungsfristen, Fortzahlung im Krankheitsfall, ein Arbeitszeitgesetz, Ausgleich Überstunden, und und und ...
Mit einem Wort: Die Arbeitnehmer haben sich Rechte erworben.
Gleichzeitig ist die Produktivität an die Grenzen des Menschenmöglichen gestiegen.
Zu sehen ist dies deutlich an der Höhe der Ausfälle in allen Branchen an Ermüdung, Depression, Burnout und Verschleißerkrankungen.
Die Arbeitnehmer ackern hart, um den Visionen der Arbeitgeber Rechnung zu tragen.
Ohne die Arbeitgeber und ihre Visionen von Möglichkeiten auf dem Markt gäbe es keine Arbeit in diesem Sinne.
Ohne die Arbeitnehmer würde nichts umgesetzt.
Es sollte ein Geben und ein Nehmen sein. Zwischen beiden Partnern.

Was aber ist die Beobachtung?
Unternehmen legitimieren ihre Existenz durch Wachstum, nicht dadurch, dass sie sich am Markt halten oder kostendeckend wirtschaften.
Die Forderung ist ein "MEHR", immerzu.
Darum ist ein Rückgang im Wachstum (wohlgemerkt nicht etwa Stillstand!) bereits eine Krise.
Und die Forderung in jeder Krise ist an die Arbeitnehmer: He, tretet zurück, gebt etwas von Euren Rechten ab oder verzichtet auf eine Anpassung an die Situation, z.B. Löhne an gestiegene Preise, etc ...
Und zumindest seit den letzten 20 Jahren, in denen ich dies aufmerksam beobachte, sind die Deutschen still und schlucken all dies.
Denn wir sind uns ja einig: durch die Krise kommt man gemeinsam. Also steckt jeder zurück.
Wie oft habe ich die Streiks in anderen Ländern beobachtet.
Während des Generalstreiks in Spanien, Streiks in Italien, Frankreich.
Und erinnerte mich an die die Nachrichten über Streiks in meiner Jugend.
Durchdiskustierte Nächte der IG Metall mit der Industrie ...
Und in den letzten 20 Jahren: Nichts. na gut, fairerweise gemildetr: Nicht viel. Wir wollen die Fluglotsen und Piloten nicht ignorieren - und eben die Bahner.
Aber ich beobachte im Arbeitsalltag, wie das Arbeistrecht immer weiter gestreckt und beschnitten wird - und immer mit derselben Begründung:
Wer das nicht will - es gibt genug andere Arbeitslose, die machen den Job dann schon.

Das ist ein Afront gegen die, die jeden Tag in ihrem Job das Beste geben.
Und das ist eine Wahrheit, die gerne mißachtet wird:
Das Wertvollste, was ein Unternehmen hat, ist das Wissen seiner Mitarbeiter darum, wie die Arbeitsprozesse und Situationen zu handhaben sind.
Und wenn man leichtfertig jedesmal, wenn gerechtfertigte Forderungen auftauchen, mit der Ersetzbarkeit jedes einzelnen argumentiert, dann gefährdet man genau dieses Potential.

Welche Wahl haben Arbeitnehmer? Letztendlich den Arbeitskampf.
Und seit 2 Jahrzehnten sind die Deutschen da "Sitting Ducks".
Nehmen hin, was kommt, während in anderen Ländern Menschen für ihre Rechte auf die Straße gehen.

Und darum denke ich, während ich im Stau auf der Autobahn stehe:
So ein Mist, dass ich hier stehe. ABER: Die Arbeitnehmer stehen endlich wieder auf.
Noch sind es Randgruppen, vielleicht werden es bald noch andere Branchen.
Aber es beginnt, sich etwas zu bewegen.
Endlich wieder Streik!