Dienstag, 23. Juni 2015
Der Wolf im Menschen
Wölfe sind familienorientiert, fürsorglich, mitunter verspielt zu ihrem Nachwuchs, schlau und ... bescheiden im Ausmaß ihrer Jagd. Insofern paßt das Symbolbild "Wolf" für die Gewalt im Menschen nicht. Vielleicht wäre es richtiger, vom Menschen im Wolf zu sprechen, wenn man die notwendige Gewalt bei der Jagd beschreiben will ...

Gerade sind die Getöse dieser Woche verhalt: Der unsägliche Angriff auf eine Kirche in South Carolina, der Angriff der Taliban in Kabul ... Der Kampf der IS geht weiter, die westlichen Streitkräfte (um nicht immer nur auf den USA herumzuhacken) schlagen zurück ... Manchmal frage ich mich, wie sich wohl der zweite Weltkrieg in den Kriegsjahren 40-43 in Deutschland angehört haben, war das auch so? Nachrichten von fernen Schlachten, beziehungslos in täglichen Sendungen dargestellt oder zu lesen?

Ist es vielleicht so, sind wir bereits im dritten Weltkrieg - nur sind die Kanonen noch so fern, dass wir sie nur in den Nachrichten hören?
Nicht nur. Auch in deutschen Vorstädten kommt dieses Grollen näher. Die einen suchen Terroristen in jedem Vorfall, der sich ereignet. Wen wundert's, die Presse treibt (und hetzt) genau zu diesem Gedankenbild ... andererseits erscheint es in der Tat auf der Straße wieder mehr Gewalt zu geben ... ob Terror oder nicht, Gewalt bleibt Gewalt.

Und dann taucht dieselbe Diskussion immer wieder auf, in den Medien, dem Kollegenkreis, der Familie:
Wie reagiert man darauf? Klar, Sicherheitsunternehmen aller Art haben Hochsaison. Es gibt kein unsinniges Konzept, dass es nicht gibt. Es wird mit Psychologie gearbeitet, die fraglich ist, ob sie einen Täter wirklich interessiert, bis hin zu Forderungen härtester Gewalt.
Und natürlich die Diskussion über Waffen.

Gerade jetzt in den USA wird wieder darüber diskutiert. Ohne Waffen hätte es die Tat in South Carolina nicht gegeben - sagen die einen.
Die Waffen tragen nicht die Schuld, sagen die anderen.
Letzteres stimmt. Legt man eine Pistole auf den Boden und berührt sie nicht, richtet sie keinen Schaden an. Sie kann nicht Schuld an etwas sein, denn um Schuld tragen zu können, muss das Etwas ein Subjekt sein - "Sein" haben.
Trotzdem ist die gegenläufige Argumentation nicht von der Hand zu weisen:
Die Schusswaffe ist der große Gleichmacher der letzten Jahrhunderte. Egal, wie muskulös, schnell und stark ein Angreifer ist, eine Feuerwaffe kann ihn auf sichere Distanz töten.
Das 20. und 21. Jahrhundert wird nicht bestimmt von der Feuerwaffe, sondern von der automatischen Feuerwaffe. Und hier sieht es noch ganz anders aus: Ein Schütze ist nicht nur einem anderen gewachsen, sondern gleich mehreren.
Oder bei Sprengstoffattentaten sogar vielen anderen.

Die Waffenentwicklung hat den eigentlichen Kampf immer mehr in den geistigen Bereich verschoben. Entscheidend ist, wer wann was abdrückt.
Und im Geist regiert die Angst. Wer hat Angst vor was und ist bereit, welche Waffe dazu einzusetzen, um mit dieser Angst umzugehen.
Klar - Terroristen leben von der Angst anderer und behaupten, sie selbst hätten keine, denn sie seien ja bereit, für ihre Sache zu sterben. Angst haben sie aber doch: Dass ihre Sache scheitern könnte.
Angst steht hinter allem.

Sollen also Menschen, die von sich behaupten, sich verteidigen zu wollen, Zugang zu Waffen haben oder nicht?
Auch der Wunsch, sich zu verteidigen, ist mit Angst verbunden. Angst, zu verlieren, unterlegen zu sein, besiegt zu werden.
Und Angst führt zu den Entscheidungen, wie welche Waffen eingesetzt werden.

Angst, so sagte mir einmal meine frühere Kampfkunstlehrerin, ist ein schlechter Berater.
Weiß ich nicht - für mich ist Angst in meiner Erfahrung immer das gewesen, was mich wach und aufmerksam hat sein lassen.
Darin war ich gut beraten. Aber Angst darf meine Entscheidungen nicht festlegen und bestimmen.

Ganz klar - ich befürworte das Recht, mich verteidigen zu dürfen. Und ich befürworte es, mich auf so einen Fall vorzubereiten: Sprich: zu trainieren, fit zu halten, Wahrnehmung und Aufmerksamkeit zu konditionieren.
Aber Anschläge, gerade wie der in South Carolina, machen mich sehr nachdenklich. Ich kann mich nicht auf jeden erdenklichen Ernstfall vorbereiten, ohne in einer bodenlosen Paranoia zu ersticken. Gerade in dieser Erkenntnis fußt die Wirkung des Terrors.
Was aber darf man tun? Ab wann ist Prävention bereits selber Unheil? Präventivschläge (die rechtstaatlich und völkerrechtlich eigentlich verboten sind und doch derweil täglich von unseren westlichen Rechtsstaaten durchgeführt werden) sind selbst Terror.
Und die Argumentation der "Falken" ist ja, dass das das einzige Mittel sei, um der Schlange (des Terrors) den Kopf abzuschlagen.
Kann man einem Zivilisten vorwerfen, dass er sich bewaffnet und die Waffen gegen (für ihn reale oder eingebildete) Feinde richtet - wenn es sein Staat seit Jahren gegen jedes Recht es beständig tut?

Ich kann die Frage nicht beantworten - und ich beobachte an mir selbst jeden Tag, dass sich mein eigenes Verhalten in der Trainingsvorbereitung mitunter nicht mit meinen moralischen Grundsätzen übereinbringen lässt - wenn es denn irgendwie effektiv sein soll.
Aber hier ist meine Angst:
Wenn die Staaten sich untereinander nicht an Recht halten, wann wird das Recht schließlich auch zwischen den Einwohnern der Staaten überflüssig?
Und wenn das der Fall ist - wer vertritt dann die Selbstverteidigung? Nur ich alleine?
Muss ich mich auf die Anarchie auch vorbereiten?
Davor habe ich Angst. Und sehe, dass dieses Paranoia Garnichts für die Lösung des Problems tut, sondern es nur verschlimmert.
Das ist sicher ein Problem, das der Wolf nicht hat.