Kurzer Abgesang auf einen Wunschfremden
Es gibt den alten Youth-Hostler-Spruch:
"A stranger is nothing but a friend I don't know yet."
Ich bin in den 70er Jahren großgeworden.
Meine Helden waren (noch) nicht die X-Men, Ironman oder dergleichen:
Das Heldsein war noch nicht so sehr eine Hybris aus überzüchtetem Technikgedanken, sondern "es ging um die Sache selbst".
Die Sache? Menschlichsein.
Schließlich tobte sich der Indochinakrieg mit allen Folgekonflikten aus, die Hippies prangerten das angeknackste Bild der Gutmenschenstaaten von Amerika an ...
Da gab es den Ruf nach einem Abziehbild, einem Symbol für Menschlichkeit.
Und das war für mich Winnetou.
Ich habe meinem Sohn vor kurzem erst die Karl May Filme nahegelegt - und natürlich fällt einem Erwachsenen dann auf, wie plakativ diese Darstellung gewesen ist. In kaum einer Situation durfte Winnetou echte innere Konflikte haben, sein Seelenleben war immer kristallklar und erhaben, wie ein Diamant.
Genauso unecht erscheint es heute, wo jede Heldengeschichte irgendwo immer etwas Antiheldenhaftes an sich haben muss, um akzeptiert zu werden.
Was ist seit damals geschehen? Hat sich der Wunsch nach Menschlichkeit verändert?
Der Gedanke, sich ohne gewalttätige Konflikte um das Glück von Familie und Freunden zu kümmern, Gastfreundschaft zu bieten und zu Hilfe zu sein, um gemeinsam ein gutes Leben zu haben?
Es ist klar, dass dies plakativ ist, aber eine Geschichte kann doch auch plakative Wünsche darstellen ... oder muß jedes Kind den Eindruck bekommen, dass selbst anzustrebende Ideale immer in sich zerrissen sind?
Ich fand Winnetou toll. Old Shaterhand auch, aber der war eher eine zerrissene Seele, der bei den edlen Wilden Heilung suchte.
In den vergangenen Jahren habe ich mich intensiver mit indianischer Geschichte auseinandergesetzt - und natürlich ist es klar, dass ein Tecumseh, ein Geronimo, ein Red Cloud, Crazy Horse, Sitting Bull und und und echte Menschen waren und keine beliebig reproduzierbare Heldenabbilder.
Aber der Wunsch, sich ein solches auch moralisches Ideal zu wünschen, wie eine Art Nordstern, war sicher nicht schlecht.
Es fällt mir schwer, meinem Sohn zu sagen, He, nimm Dir Ironman zum Vorbild: Nicht dass der nicht auch Gutes verfolgen würde, aber seine Differenzen zwischen Handeln und eigenem Sein sind durch Konflikte so unscharf, dass der Kern, der bewundert werden kann, nur schwer erkannt werden kann.
Und moralische Unschärfen gibt es im Alltag genug.
Da möchte ich doch lieber ein unrealistisches, aber eindeutiges Bild, auf das ich verweisen kann.
Eben Winnetou.
Pierre Brice ist mit 86 Jahren verstorben. Sein Winnetou wird ihn hoffentlich weiter überleben.
RIP.
aethien am 08. Juni 15
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